Shades of Grey - Hysterie einer Szene

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"Pein in Zeitlupe" - Wie und warum sich die wahren SM'ler über literarische und vielleicht auch eigene Wertvorstellungen streiten.

11. Februar 2017

 

Pünktlich zur Fortsetzung von „Shades of Grey“ bringt sich die Szene mal wieder in Stellung. Die Mission scheint klar zu sein: Das ist kein BDSM! Gut, Thema durch, ist kein BDSM – so einfach wäre das. Weit gefehlt!

 

Hat sich eigentlich die „Flieger-Szene“ auch so ausgelassen über den Umstand, dass man in Seattle, wo der Film ja spielt, gar nicht mit dem Hubschrauber fliegen darf? Wie empöhrend und anmaßend es ist, dort geltendes Recht auf fiktive Art auszuhebeln? Hat das ein Pilot gefälligst mal klargestellt? Ey, da können Menschen sterben wenn da einer fliegt. Weil die abstürzen oder eben zum Absturz gebracht werden. Vom Militär! Oder hat sich ein Unternehmerverband mal in Stellung gebracht, dass die Darstellung des geschäftlichen Erfolgs des Christian Grey gar nicht der Realität entspricht? Oder hat das Standesamt Berlin mal lautstark protestiert, dass Heiratsanträge ja nur die halbe Wahrheit sind? Ja, in Wahrheit gibt’s auch Scheidungen, wirklich! Kann mal jemanden diesen pseudoromantischen Part des Films mit „Fakten“ auseinandernehmen und klarstellen, bitte?

 

Nun gut, so absurd es angesichts der Vergleiche auch scheint, den Aufstand gibt es dennoch Denn die wahren Popo-Klatscher und stolzen Sub's können den Film nicht einfach so stehen lassen. Nein. Da muss argumentiert, dementiert, erklärt und gekontert werden. Fast schon berechnend langweilig finden, zugegeben begabte Redakteure, mal wieder redselige und renitente Szene-Kenner, die sich und ihresgleichen, gut getarnt im investigativem Ansatz, in Stellung bringen.

 

Hier die Top 5 der Szene-Empöhrungen

 

Grenzen überschreiten – Das ist ein No-Go“

 

Stimmt, da muss ich mich wohl getäuscht haben. Dann sind alle die szenetypischen Diskussionen und Differenzierungen zwischen DEBRIS, RACK ,Tabus und Grenzen samt deren Verschiebung nur Einbildung. Sorry, mein Fehler. War da nicht was? Ja, da war doch was! Ah, jetzt hab' ich's. Ich kann mich dunkel erinnern, dass akribische Listen und Diskussionen geführt werden was nun ein Tabus ist und was eine Grenze. Und des Dom's größter Erfolg? Richtig, Grenzen ausreizen. Grenzen verschieben nennt sich das dann. Und immer schön der Sub einreden wie stolz sie darauf sein kann. Dieses Verhalten ist realer als die Angst, dass sich Kino-Besucher nach dem Film gegenseitig ins Krankenhaus oder die Psychiatrie prügeln.

 

Das Auffangen nach einer SM-Session ist ebenso wichtig wie reden.“

 

Jawohl, steht ja schon im Großen SM-Duden geschrieben: „Du sollst nicht Aua machen ohne Worte.“ Der allgemeinere Hinweis auf Kommunikation hätte hier sicherlich gereicht. Spoiler-Alarm – Kommunizieren hilf bei so vielen Dingen im Leben. Von Weisheit zeugend diese SM-Szene. Anastasia wird nach dem Sex zum Schlafen in ein separates Schlafzimmer verbannt. Gekuschelt wird nicht. Wirklich, ein Skandal! Für mich der Aufreger schlechthin.

 

Die meisten SMler sind normale Menschen mit normalen Problemen“

 

Dachte ich's mir doch. Völlig normal. Und so hoch wie der Anteil der Gestörten unter den „normalen Menschen“ ist, ebenso hoch ist demnach auch der Anteil der Gestörten unter den „SM'lern“. Warum sollte „die Szene“ auch weniger verwahrlost sein als die breite Masse? Was ist nun daran so erstaunlich? Zahlreiche Studien haben doch nun bereits belegt, wie besipielsweise hier erwähnt, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dieser Neigung und psychischen Pathologien gibt. Muss man da jetzt wie Pumuckl wild umherspringen und dies nochmal klar stellen? Sagt dieser Grey im Film auch nur einmal „Wir sind alle so! Wir alle haben eine verkorkste Kindheit, sind psychisch labil und kompensieren uns um Kopf und Kragen!“ Nein, sagt der nicht. Die Szene hat aber wie immer Angst, der dumme Kino-Besucher könnte diese Rückschlüsse ziehen.

 

Stalking und Zwang - das hat bei SM'lern nichts verloren

 

In der realen Welt gibt es keine Herren und Subs die stalken und nachstellen? Die manipulieren oder als „Zwingling“ in der „Session“ auftreten? Doch gibt es, aber das hat alles nix mit BDSM zu tun. Arschlöcher gibt es unter den SM'lern ebenso wie unter den Briefmarkensammlern, den Sportlern und den Floristen. Und die gestörte Ex-Sub, die dem Herrn mit bandagierten Unterarmen nachstellt, ist ebenso real wie der Vanilla-Streit deiner Nachbarn. Stalking und Zwang hat weder hier noch da was verloren. Dennoch findet es statt. In einer Vanilla-Beziehung wie auch in SM-Beziehungen. So what? Arschlöcher gibt’s eben überall.

 

Das ist Hausfrauen-SM

 

Das wohl leidigste Thema überhaupt. All das ist maximal Hausfrauen-SM. Dieser ganze Fifty-Kram ist alles, aber kein SM! Lydia Benecke sagt richtigerweise: „BDSM ist eine Gemeinschaft, die an Sicherheit und Geborgenheit glaubt“. Und diese Werte sind es wohl auch, die diesen Aufschrei verursachen. Die in sich geschlossene Gemeinschaft ist völlig verbogen vor Angst. „Wir sind die Anderen, wir wissen was echtes SM ist.“ Denn der Glaube an Sicherheit und Geborgenheit bezieht sich wohl nicht nur auf den Umgang miteinander, sondern auch auf den Drang, sich die elitäre Käseglocke zu bewahren. Von Drinnen mit lachender Fratze nach Außen zu sagen: „So kommst du hier net rein!“. Traurig.

 

Was bleibt zum Schluss?

 

Am Ende bleibt mir mal wieder nur zu hoffen, dass möglichst viele Menschen ihren ganz persönlichen kleinen Funken Glückseligkeit im großen SM-Bauchladen finden. Und ich wünsche jenen Menschen ein erfülltes und bereichertes Sexleben außerhalb der Glocke. Einmal in der Glocke angekommen wird man nur unweigerlich zum mahnenden und motzenden SM'ler. Lieber draußen bleiben, die Hardliner machen lassen, und das tun, worauf man in welcher Intensität auch immer Lust hat.

 

Und erst wenn ihr außerhalb der Glocke wirklich unglücklich seid, dann geht halt mal in die Glocke rein. Dort gibt’s dann Einblicke, Begebenheiten, Abgründe und all die angeblich nicht wahren Verhaltensmuster sowie wahre Klischees in Hülle und Fülle. Versprochen!

 

Ater Crudus

 

 

 

Veröffentlicht am 11. Februar 2015

 

Gleich ob Bücher oder Kinofilm, kaum ein einziger Tag vergeht ohne Berichte zu "50 Shades of Grey". Und ungleich mehr „betroffene Praktizierende" melden sich unaufgefordert und vehement zu Wort. Die Sprecher und Sprachröhrchen der BDSM Szene. Die Hardliner sagen, all das sei thematisch schon mal prinzipiell gar kein SM. Die anderen sehen die Aufweichung des SM Lebensstils, gleich einer Apokalypse nahend. Wieder andere monieren die unzureichenden Hinweise auf "Risiken und Nebenwirkungen". Und dann sind da noch die Samariter, die das ganze unter dem Deckmantel des Jugendschutzes an den Pranger stellen.

 

Grundsätzlich stellen sich doch zuerst einmal einige Fragen. Kann denn etwas zutiefst individuelles, eine facettenreiche Auslebung der Sexualität, überhaupt richtig oder falsch ausgeführt werden? Hat denn irgendjemand ein Exklusivrecht darauf eine allgemeingültige Definition über BDSM aufzustellen, und jede andere Sicht-, Erlebens- und Herangehensweise zu verurteilen?

 

Bornierte Nörgler werden sich diesen Fragestellungen nicht objektiv nähern können. Stattdessen wird wohl ein nicht kontrollierbarer Impuls Antworteinleitungen wie "Ja, und ob man da was falsch machen kann, zum Beispiel..." oder "Ja, aber devot und dominant, das ist ja schon fest definiert..." ausspucken. Schade eigentlich. Kein Schwein kann einem Laien den Unterschied zwischen SSC, RACK und DEBRIS erklären, ohne einen fragenden Blick als Reaktion zu ernten. Aber es wird erwartet, dass ein schnödes Buch, eine Verfilmung, ein Thema allumfassend und ohne Widersprüche und Fehlinterpretationen verarbeitet?

 

Naja, aber warum sollte der Tenor aus der Szene heraus auch anders sein, als die Stimmung innerhalb. Denn schon „die Praktizierenden" sind sich ja nicht grün. Jener haut die Subbi falsch, jener ist ein Spinner, und ein wieder anderer hat ja sowieso keine Ahnung und ist ein Psycho. Es wird gestalkt, geprotzt, gelästert und kritisiert was das Zeug hält. Gut, warum dann also nicht nach Außen hin seiner Strategie treu bleiben und jetzt mal das szene-trainierte Verhaltensmuster auf ein Massenphänomen anwenden.

 

Das hat zudem noch den entscheidenden Vorteil, dass man auf sich aufmerksam macht. Sich scheinbar positioniert ,sich abhebt. Sich damit über jene Oberflächlichkeit der SoG-Inhalte stellt. Klar, locken doch solche Positionierungen auch neue Opfer an. Diese schauen dann hinauf zum wahren BDSM-Propheten, und der erklärt dann richtig wie das funktioniert. In der Praxis, natürlich. Ist ja dann richtiges SM. Und wenn die Rechnung nicht aufgeht, sich auf diese Weise Gehör zu verschaffen, und auf seine eigene Andersartigkeit aufmerksam zu machen, dann ist wahrscheinlich auch SoG Schuld. Natürlich ist da der Grey Schuld, der wirft die Erwartungen der ganzen Sklaven, Subbis und Newbis ja völlig durcheinander. Die werden dann Mainstream- oder Kuschel-SM'ler genannt. Verzogen durch solche Lektüre. Weg von den wahren Wurzeln und der eigentlichen Bedeutung von BDSM. What? Kann man das ernst meinen?

 

Apropos Mainstream, da ist ja noch die Angst die Szene verwässert. Sieht das wirklich irgendjemand als ernstzunehmende Gefahr? Wie sieht denn so eine verwässerte Szene aus? Auf der bisher elitären SM Party fällt dann das eine Paar negativ auf, wenn es nur vögelt und er ihr dabei lediglich zweimal auf den Popo haut? Dann bleibt halt bei euren Partys wo die beiden nicht sind. Die Kreise in denen man sich wohl fühlt, verändern sich doch in den meisten Fällen ohnehin nur schleichend und kaum. Der ganz innerste Kreis, jener Kreis, mit denen man auf einer Wellenlänge ist, mit denen man Ansichten, Praktiken und Überzeugungen teilt, den nimmt euch doch nun wirklich niemand weg. Ganz im Gegenteil, vielleicht bereichert eine Dame, die also nun dieses Verwässerungspotential in sich trägt, eine Runde sogar. Denn nun auf den Geschmack gekommen weiss sie, wie gern sie sich hart zum Deepthroat benutzen lässt. Ihr ganz eigenes SM. Benutzung, die einhergehende körperliche Anstrengung, vielleicht eine Ohrfeige dabei. Ist die Dame jetzt eine Gefahr für die Szene? Sicherlich nicht.

 

Und wenn wir einmal bei den Gefahren sind, schauen wir uns doch mal diesen Aspekt etwas genauer an. Da kann man falsch hauen, dort kann man falsch drücken, ist klar. Codewort, ach nein, das übergeht der Grey ja unverantwortlicher weise sogar. Sowas ist in der Praxis natürlich bei noch keinem SM'ler jemals vorgekommen. Wurde auch nie vergessen eins abzusprechen. Und selbst wenn man mal einen Fehler macht, kann man das ja noch auf eine Grenzen-Tabu-Diskussion lenken, oder aber es als Lektion verkaufen. Ja, BDSM birgt Gefahren. Logisch, je extremer die Praktik, umso höher ist auch das damit verbundene Risiko. Aber wir reden hier doch noch immer von erwachsenen Menschen. Jeder der sich mit Schatzi an klatschen, hauen und an Grenzerfahrungen herantraut, wird doch wohl eigenverantwortlich handeln können. Muss es da wirklich die Wächter der Szene auf den Plan rufen? Unfälle passieren, das ist leider so. Und man kann diesen Fakt auch leider nicht weg reden. Zu keinem Zeitpunkt hat Buch oder Film den Anspruch darauf erhoben, ein detailliertes Aufklärungswerk sein zu wollen. Aber nun, wo es das nun mal nicht ist, bekommt es SoG aufs Brot geschmiert. Blendet man Shades of Grey mal für einen kleinen Moment aus, so ist doch gar nichts anders als vorher. Es gibt noch immer tolle Bücher, Fachleute, Workshops, Internetseiten, Foren und schlussendlich den realen Austausch mit erfahrenen SM'lern. Daran ändert sich sich doch auch mit SoG nichts. Also, wo ist eigentlich das Problem? Der eine findet seinen Einstieg auf einer Party, der nächste liest im Internet eine Geschichte, und eine anderer trägt irgendwelche Fantasien schon länger mit sich herum. Und nun werden halt andere durch die Romane oder den Film auf das Thema gestoßen, na und!?

 

Viel gefährlicher noch ist der Mr. Grey aber für unsere Jugend. Jetzt kann das jeder Jugendliche im Buch lesen, und wird mit diesem Thema konfrontiert. Na nun aber mal langsam. Weder hat sich irgendjemand nach „Feuchtgebiete" freiwillig auf schmutzigen Toilettensitzen gerieben, noch ist nach „Secretary" der Markt für Miniröcke explodiert. Während bedauerlicherweise im Internet auf zahllosen „tube-Seiten" Videos von Hodensackinfusionen, Bloodgames und CBT-Behandlungen frei zugänglich zu sehen sind, regt sich wirklich noch jemand über SoG auf? Also bitte. Die ganze Energie und den Frust kann man in Sachen Jugendschutz vielleicht auch sinnvoller und gezielter einsetzen.

 

Das Beste zum Schluss: Alles geht wieder vorbei. Der Hype wird sich legen, die Nörgler werden verstummen. So sind die medialen Ereignisse nun mal. Was heute Aufreger Nummer 1 ist, ist schon morgen Geschichte. Und wenn „50 Shades of Grey" Menschen hilft ihre Sexualität zu bereichern, dann ist das doch alles mehr als legitim. Seid gut zu euren Lieben.

 

Ater Crudus

Kommentare

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  • Martin (Mittwoch, 08. März 2017 18:08)

    Genialer Text. Schön das Sie sich die Mühe gemacht haben und es so gut getroffen haben.

  • Sven "Sprachröhrchen" Dirks (Mittwoch, 18. Februar 2015 00:25)

    Mit Verlaub - der Film selbst ist Rosamunde Pilcher in Zelluloid. Was da als SM verkauft wurde ist, nun ja, lassen wir das. Was wirklich dämlich ist ist die feste Annahme SMer = krank und hatte eine
    miese Kindheit. Wiewohl letzteres tatsächlich häufig zutrifft, zugegeben. Die Psychopathololgie von SMerinnen wurde sehr liebevoll ironisch und treffend in The Secretary aufgegriffen.
    Vanilla-kompatibel.

  • Viola (Samstag, 14. Februar 2015 19:19)

    Wundervoll geschrieben und genau so ist es!

  • Nora Amelie (Donnerstag, 12. Februar 2015 20:13)

    Gut beleuchtet, der Hype und die Reaktionen aus der Szene. Ich hab den Film gestern gesehen, finde ihn okay. Letztlich leben hier zwei Leute ihr BDSM aus, nicht weniger und nicht mehr. Sollen sie.
    Auch ich sehe darin keine Gefahr. Die kommt aus ganz anderen Ecken ;-)

  • Kat. (Mittwoch, 11. Februar 2015 19:39)

    Sehr schöner Text... Danke dir dafür.
    Schön ist es wenn Frauen vielleicht sich "trauen" Ihre Sexualität zu endecken... und sich nicht "unnormal" empfinden.
    Schlecht würde ich empfinden wenn jeder Mann (oder Frau) meint, mit dem nötigen "Zubehör" ist er (oder Sie) schon ein Dom... Wahrscheinlich werde ich mir den Film ansehen, einfach mal um mitreden zu
    können. Dominanz liegt nicht im Zubehör, und wenn ich höre, dass der Verkauf von Seilen und Peitschen steigt, wird mir mulmig....
    Mal schauen....

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